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Der Worst Case (Teil I)

 „Ich fürchte, diese Rezession wird die Mutter aller Rezessionen“, sagte Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW-Kiel), dem Handelsblatt. Drastische Worte, und niemand sollte sich etwas vormachen: diese Krise wird aller Voraussicht nach historisch.

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Und mitten in einer grundlegenden Krise scheint es uns an der Zeit, sich auch mit entsprechend grundlegenden Fragen zu beschäftigen. Was war? Was ist? Und was wird sein? Wir greifen hierfür in einem ersten Schritt zurück auf das Grundlagenwerk zur Erkenntnisfähigkeit des Menschen, auf die „Kritik der reinen Vernunft“ von Immanuel Kant, das wegen seiner Bedeutung für die Philosophiegeschichte gerne auch als kopernikanische Wende in der Philosophie bezeichnet wird. Darin versuchte Kant, die Grundlagen menschlicher Erkenntnisfähigkeit herauszufinden: was können wir erkennen und was nicht?

Wie wir die Welt sehen, hängt von unserer Wahrnehmung und von unserem Verstand ab. Ob aber die „Dinge an sich“ in Wirklichkeit so sind, wie wir sie wahrnehmen, können wir niemals wissen.
GetAbstract

Diese Schlussfolgerung erscheint natürlich unbefriedigend und das war es im Übrigen auch für Kants Leser und seine Zuhörer in der Universität Königsberg. Was man als Mensch aber durchaus in der Hand hat, ist, fortwährend an seiner Wahrnehmungsfähigkeit und an seiner Urteilskraft zu arbeiten.

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Kleines Beispiel am Rande: man kann sich als Erwachsener im Pendelverkehr auf dem Weg zur Arbeitsstelle natürlich die Zeit beispielsweise mit der Candy Crush Saga vertreiben (an deren Hersteller wir aktienbeteiligt sind). Oder aber…man hebt den Blick. Und erkennt beispielsweise, dass 80 % der anderen Pendler ebenfalls gerade in ihr Smartphone vertieft sind – und oftmals Candy Crush Saga spielen. Oder auf Facebook sind. Welche Oberbekleidungsmarke in diesem Winter das stärkste Werbebudget hatte. Welche Brillenmarke mehrheitlich getragen wird. Welche Smartwatches die Leute tragen. Denke nach und werde reich.

Deshalb auch gleich vorweg: es ist völlig klar, dass jeder für die Erfüllung seiner Hausaufgaben selbst verantwortlich ist. Habe den Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen. Jede Äußerung, einschließlich unserer eigenen hier auf dem Blog, sind Meinungen, sind Ansichten, die hinterfragt werden müssen. Jeder Mensch ist fehlbar, wir können deshalb genauso daneben liegen mit unserer Auffassung von den Dingen. Arthur Schopenhauer schreibt im zweiten Band seiner Parerga und Paralipomena: „Lesen heißt mit einem fremden Kopfe, statt des eigenen, denken.“

Nun aber zurück zur Krise und was mit ihr zu tun ist. In Anlehnung an die drei Kernfragen der Kantschen Philosophie (die philosophisch die Frage beantworten sollen: Was ist der Mensch?) wollen wir durch unsere Artikelserie führen.

Erste Frage: Was kann ich wissen?

Zunächst einmal kann man schon ohne großes Nachdenken mit einiger Sicherheit wissen, dass wir bereits inmitten eines Eintrags für die Geschichtsbücher stecken. Wir erleben gerade Geschichte. Und es betrifft jeden einzelnen von uns. Jeder wird im Nachgang dieser Krise dazu irgendetwas Persönliches erzählen können und eigene Anekdoten einstreuen können. Es wird nur leider vorwiegend Negatives sein. Möglicherweise werden Verblichene im eigenen Umfeld zu beklagen sein. Möglicherweise ist der eigene Arbeitsplatz in Gefahr. Möglicherweise ist man im Gesundheitsbereich tätig und kann deshalb Rekordverdächtiges berichten, wenn die Krise einmal vorbei sein wird. Oder man erinnert sich auch einfach nur an die Nachrichten dieser Tage, dass infolge der weitverbreiteten Auffassung, Corona sei „ja nur ungefähr[lich] wie Grippe“, in Italien nun Dutzende Armeefahrzeuge die Leichen abtransportieren müssen.

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Unsere Aussage zur Geschichtsträchtigkeit zielt gar nicht so sehr auf einzelne Punkte, auch gar nicht auf einzelne langjährige Rekorde, die in den letzten Tagen an verschiedenen Märkten eingestellt wurden. Es ist größer. Es ist allumfassend. Es ist weltweit und es betrifft die gesamte Menschheit. Wir erleben aktuell – und als Blog mit wirtschaftlichem und finanziellem Schwerpunkt wollen wir uns darauf beschränken – das Eintreten eines Multiorganversagens aller Wirtschaftskreisläufe mit allen Konsequenzen. Das ist die Diagnose. Es droht ein Kreislaufzusammenbruch.

Konnte man das kommen sehen? Manche konnten es. Manche davon hatten Glück. Die Meisten konnten es sicher nicht. Auch wir haben ja mit unserem fremdfinanzierten Teil einen substantiellen Anteil unseres Depots rechtzeitig aufgelöst. In dieser Intensität „kommen gesehen“ haben wir natürlich nicht, was kommen sollte. Horst Lüning, seines Zeichens umtriebiger Chef von whisky.de und Youtuber, formuliert regelmäßig: wir leben in exponentiellen Zeiten. Das aber ist wohl eine der ältesten Feststellungen, die es gibt: der Mensch ist für exponentielles Denken nicht geschaffen. Der Mensch denkt vorwiegend linear. Wir hatten nur ein vages Bauchgefühl, dass es Zeit dafür ist, das Risiko zu reduzieren. Dieses war im höchsten Maße unbestimmt. Schon gar nicht haben wir absehen können, dass wir uns in Deutschland hinsichtlich der Virusverbreitung im Wochentakt auf die nächste Schwelle der logarithmischen Skala hochschwingend werden. 1. 10. 100. 1k. 10k. 100k? Und jede nächsthöhere Stufe hat natürlich politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Konsequenzen.

Wir sind nun schon im Bereich zwischen 10k und 100k und irgendwie kann man es nicht so richtig glauben, dass es exponentiell weitergehen soll, zumal ja beispielsweise bereits vielfach Heimarbeit verordnet wurde. Das steht aber dennoch so zu erwarten. Wir sollten uns mental auf 100k Infizierte und sicherheitshalber auch auf eine Million Infizierte schon einmal einstimmen. Das sind unglaubliche Zahlen und wahrscheinlich eine exorbitante Belastung des Gesundheitssystems. Und auch hier wieder die Frage: was werden die politischen Maßnahmen sein und was werden die wirtschaftlichen Folgen sein? Das hatte man schon während der Wuhan-Krise gesehen. Die Maßnahmen des Staates müssen notwendigerweise zum maximalen wirtschaftlichen Schmerz führen, wenn sie wirken sollen. Deshalb erwarten wir Stand heute vor allem auch noch die Einleitung schmerzhafter Maßnahmen in den USA als letztem bedeutenden Wirtschaftsraum, der das Schlimmste wohl noch ganz vor sich hat.

In dieser Woche gab es auch eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie zur Corona-Krise. Demnach wären verheerende Zahlen zu erwarten gewesen, wenn gar keine Eindämmungsmaßnahmen ergriffen worden wären. Dann läge die R0-Basisreproduktionsrate zwischen zwei und drei (das RKI spricht von etwa drei), so viele Menschen würde ein Infizierter also im Schnitt anstecken. Der Grund, warum es im Falle dieses Virus überhaupt so umfassende Eindämmungsmaßnahmen des Staates gibt, liegt im Gesundheitssystem. Aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr bei gleichzeitig vorhandenem Anteil an tödlichen Verläufen (sei er nun 0,25 % wie heute vorläufig in Deutschland oder 5 % wie in Spanien) werden die Gesundheitssysteme an ihre Grenzen und voraussichtlich darüber hinaus kommen und das ist auch der wesentliche Unterschied zur Grippe. Es ist ansteckender, hat eine längere ggfs. symptomfreie Inkubationszeit, es gibt keinen Impfstoff, es gibt kein Therapeutikum und es gibt auch keine immunisierte Bevölkerung. Es ist deshalb ein unerträglicher Zynismus, wenn einzelne offenbar Unterinformierte den Schuss immer noch nicht gehört haben und mit dem Leben anderer Menschen spielen.

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Wir haben in Deutschland ca. 30.000 Invensivbetten im Gesundheitssystem, bei denen das Grundproblem ist, dass sie deshalb in dieser Zahl bestehen, weil sie üblicherweise in dieser Höhe schon ungeachtet COVID-19 benötigt werden – und deshalb nicht weiter eingespart werden konnten. Die Eindämmungsmaßnahmen orientieren sich deshalb nun daran, wie diese Zahl an verfügbaren Betten nicht überschritten werden kann. Und die Hürde zur Überschreitung ist wohl nicht sehr hoch. Die Basisreproduktionsrate müsste demnach durch politische Maßnahmen bzw. Einschränkungen des öffentlichen Raums auf unter 1,2 gesenkt werden, damit das Gesundheitssystem voraussichtlich in der Lage bleibt, allen Intensivbehandlungsbedürftigen einen Platz zu bieten. Schaffen wir das nicht, werden wir auch in Deutschland genau dasselbe sehen, wie wir es gerade in Italien und Spanien erleben. Die. Leute. Sterben. Weg. Wie. Die. Fliegen. In beiden Ländern haben Ärzte nun zu entscheiden, wer leben darf und wer sterben muss und wir befinden uns „leider“ nicht in einer Folge der Saw-Serie. „Dramatisch“ ist eine maßlose Untertreibung.

Wer über 65 Jahre alt ist, dem würde die maschinelle Sauerstoffzufuhr verwehrt bleiben, wenn bei einem jüngeren Patienten ebenfalls Bedarf an Beatmung bestehe. Es sei vorgekommen, dass Krankenschwestern die Hände von sterbenden Menschen hätten halten müssen, nachdem man die lebenserhaltende Maßnahme abbrechen musste. Familienangehörigen ist der Zutritt in die Krankenhäuser verboten.
Corona-Drama in Spanien

In Italien sieht es bekanntlich noch schlimmer aus. Dort gibt es zum Teil nicht einmal mehr die Krankenwägen, um die Infizierten ins Krankenhaus zu bringen. Die hohen Todesraten in beiden Ländern resultieren mittlerweile wohl überwiegend aus der Grenzüberschreitung im Gesundheitssystem.

Die Situation ist also mit nichts anderem als mit extrem zu beschreiben und Besserung ist Stand heute noch nicht in Sicht. Im Gegenteil steht trotz der bereits ergriffenen Eindämmungsmaßnahmen zu befürchten, dass das Schlimmste noch vor uns liegt.

Wie bereits schon sehr oft auf diesem Blog erwähnt sind die Finanzmedien in den meisten Fällen wenig hilfreich, wenn es um die fundierte Analyse der Gegenwart oder um die Bewertung von Zukunftsaussichten geht. Das ist aber nun einmal Kern der Aktienanlage. Es werden Megatrends vorgestellt, Lithium, 3D-Druck, Kryptowährungen, Smart-Beta-Rebalancing-ETFs. Wo steht all das heute?

Die Finanzmedien, und da uns leider bisher keine herausstechende Ausnahme bekannt geworden ist, sagen wir das mal so pauschal, liefern zu wenig hilfreiche Analysen. Eher wird auf einen Trend aufgesprungen, den regelmäßig viele schon vorher erkannt haben. Das ist dann eine Art abschreiben und nicht die Generierung neuer Informationen. Uns fiel schon das eklatante Informationsdefizit auf, als das Virus noch auf China beschränkt war. Es ist wirklich nicht einfach, seriöse Informationen zu erhalten und vor allem solche, die man als Investor dann auch noch gewinnbringend verarbeiten kann. Eher hilft es noch, sich auf allgemeine gut recherchierende überregionale Tageszeitungen oder investigative Wochenmagazine zu stützen. Der Investmentbezug muss dann natürlich selbst erarbeitet werden.

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Was aber mit Sicherheit beim Erkenntnisgewinn in einer Krise nicht hilft, sind Crash-Propheten. Schaut man sich einmal den F&W Wertvernichtungsfonds an, fällt auf, dass dieser mit Stand diese Woche ebenfalls 20 % verloren hat. Wofür genau braucht man diesen Fonds dann? In guten Zeiten performt er nicht, in schlechten Zeiten stürzt er ab. Wir hatten im letzten Artikel schon dargelegt, warum mit diesem Ansatz nach unserer Auffassung eine Negativrendite von 7 % p.a. resultiert. Es wurde die Werbetrommel für die „Krisenwährung“ Gold gerührt. Gold hat in dieser Woche seit Beginn des Börsenkrachs 10 % verloren. Ja – Gold hat nicht 40 % verloren, wie der DAX. Aber entgegen der Behauptungen der Crash-Propheten geht Gold eben nicht durch die Decke, auch nicht, nachdem die Notenbanken kürzlich nochmals signifikant aufmunitioniert haben. Was von den F&W Wertvernichtern ebenfalls gern empfohlen wird, ist zum Beispiel der Bitcoin. Dieser hat mit 45 % Stand diese Woche sogar noch mehr verloren als der DAX – völliger Bullshit, das als krisensicheren Sachwert anzupreisen.

Wir bleiben noch ganz kurz bei dem Thema: eine Überraschung kam dagegen vom Dirk Müller Fonds. Dieser liegt seit Ausbruch der (deutschen Börsen-)Krise, also ca. mit dem 21. Februar mit 2 % im Plus. Das ist gigantisch und nach unserer Kenntnis eine unerreichte Outperformance. Dirk Müller steht auch regelmäßig im Verdacht, den Kreis der berechtigten Mahner und Warner zu verlassen und zu den vorgenannten Hysterikern und Verschwörungstheoretikern zu gehören. Wir wollen das nicht abschließend beurteilen. Dirk Müller hebt sich aber offensichtlich von anderen – echten – Crash-Propheten schon durch eine von Anstand und Sachlichkeit geprägte Diskussionskultur aus. Inhaltlich kann man im Einzelnen immer anderer Meinung sein – er zwingt sie einem aber nicht auf und vor allem fällt er nicht ständig als unerträglicher Dauersabbler ins Wort. Insbesondere zeichnet er sich dadurch aus, dass er ausdrücklich fordert, dass alle seine Äußerungen infrage zu stellen sind und er nicht die allumfassende Wahrheit kennt. Wir wollen nicht alles schönreden, wir teilen auch einiges nicht und er liegt auch öfter mal falsch, wir würden ihm aber doch durch konzedieren, dass wir den einen oder anderen Gedankengang von ihm nicht uninteressant fanden.

Nach wie vor wird also aber der laufende Crash nicht von der hohen Verschuldung der Staaten verursacht oder davon, dass die EZB „wie verrückt Geld druckt“. Nichts von der aktuellen Krise haben die selbsternannten „Star-„Ökonomen““ Friedlich & Weich und der Risikomanagementberater Doktor Knall vorausgesehen. Natürlich nicht, weil Crashs immer aus unerwarteter Ecke kommen. Ja, die Rahmenbedingungen beten sie rauf und runter, diese sind auch tatsächlich eher unschön (Stichwort Verschuldungsquoten) und diese sind aber auch allen bereits bekannt. Allen jedenfalls, die sich ihr Allgemeinwissen nicht aus der BILD, von den RTL 2 News oder von F&W-Seminaren holen, sondern die in der Lage sind, Interesse in Autodidaktik umzumünzen. Die EZB druckt natürlich auch keine einzige Banknote, obwohl das immer wieder anderslautend behauptet oder suggeriert wird. Drucken würden wenn überhaupt die nationalen Notenbanken im europäischen System der Zentralbanken (ESZB).

Und auch wenn man eine Ausweitung der Geldmenge flapsig als „Geld drucken“ bezeichnen wollte, sollte doch auch bekannt sein, dass die letzte EZB-Leitzinssenkung mit der Einführung eines Freibetrags einherging, die letztlich der Zinssenkung wieder entgegenwirkte. Es wurde sogar diskutiert, ob die letzte Zinssenkung der EZB nicht tatsächlich eher eine Zinsanhebung war. Die kaufkraftrelevante Geldmenge M3 wächst übrigens seit vielen Jahren im Durchschnitt etwa um 5 % (Ziel der EZB: +4,5 % p.a.) – von ausuferndem Gelddrucken kann also in der Realität überhaupt keine Rede sein.

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Am meisten überschätzt wird die Wirkung der sogenannten „Geldschwemme“ als Folge der Anleihekäufe. Tatsächlich sind die Bilanzsummen jener Notenbanken, die Anleihekäufe betrieben haben oder noch betreiben, deutlich gewachsen, weil die Notenbanken den verkaufenden Banken den Gegenwert der Anleihen auf deren Konten bei der Notenbank gutgeschrieben haben. Aber von dieser „Geldschwemme“ führt kein unmittelbarer Weg auf die Konten, die Privatpersonen und Unternehmen bei ihren Banken und Sparkassen unterhalten. […] So erklärt es sich, dass die EZB in den vergangenen Jahren sehr viel Geld geschaffen hat und gleichzeitig die Geld- und Kreditmengen in der Wirtschaft nur langsam zugenommen haben. „Zwischen dem Anstieg der Zentralbankguthaben und der breiteren Geldmenge besteht kein mechanischer Zusammenhang“, heißt es in einem Erläuterungstext der Deutschen Bundesbank. „Ein verbreiteter Irrtum besteht in der Annahme, die Notenbank bestimme die Menge der Kredite und Bankguthaben in der Wirtschaft, indem sie die Menge des von ihr geschaffenen Geldes kontrolliere“, schreibt die Bank von England in einem erklärenden Aufsatz.
Die Wirkung der Anleihekäufe wird häufig überschätzt

Im Ergebnis zielen Anleihekäufe nämlich primär auf die Senkung des Niveaus langfristiger Zinssätze ab (was der Lukrativität der Fristentransformation der Banken abträglich ist, aber Staaten niedrige Verschuldungskosten erlaubt) und nicht auf eine Ausweitung der Geldmenge. Das einzige Problem, dass die Banken aktuell tatsächlich haben, ist, dass sie sich nach wie vor weigern, das geldpolitisch angestrebte Zinsniveau von -0,5 % für kurzfristige Einlagen im Euroraum an ihre Kunden weiterzugeben und somit durchzusetzen. Natürlich müssten alle Banken mitziehen, um eine Flucht des Geldes vom Negativzins- zum Nullzinsinstitut zu unterbinden. Aber Fakt ist: Bankeinlagen müssten eigentlich konsequenzt negativ verzinst werden und dann gäbe es auch weniger Probleme mit der Zinsmarge und der schlechten Ertragslage bei den Banken. Natürlich würde die konsequente Negativverzinsung entweder zur Auszahlung von Bankeinlagen oder aber zu einer weiteren Vermögenspreisinflation durch Umschichtung führen. Aber hier läge der Ball bei der EZB, weil man möglicherweise den Schluss ziehen müsste, dass negative Einlagenzinsen mehr Probleme bringen, als sie lösen. Negative Einlagezinsen sehen wir andererseits auch gar nicht so kritisch, da sie Kredite und Investitionen gegenüber der Bankeinlage attraktiver machen. Wenn es also hilft, den unverbesserlichen Deutschen endlich das Sparbuch abzugewöhnen und mit ihm die Vorstellung, es gäbe ein Grundrecht darauf, auf bloße Nominalgeldforderungen eine Rendite zu erhalten (ein risiko- und leistungsloses Einkommen also). Jedenfalls wird sich in der Wirtschaft bei -0,5 % keine durchgehende Bargeldauszahlung und Tresoreinlagerung jedenfalls von großen Teilnehmern ergeben, da die Opportunitätskosten dafür zu hoch sind. Deshalb sind wir der Überzeugung, dass ein moderat negativer Einlagenzins durchsetzbar wäre, wenn man denn wollte.

Was also stattdessen tun? Wer hat Ahnung und an wen kann man sich ratsuchend in der Krise wenden? Wir sehen in seriösen Wirtschaftsforschungsinstituten nach wie vor (mitunter) qualifizierte politische Wirtschaftsberatung auf wissenschaftlicher Grundlage. Es dürfte dabei klar sein, dass wir als passionierte Aktionäre weniger den gewerkschaftsnahen Wirtschaftsforschungsinstituten Glauben schenken. „Wenn sich die Wirtschaftstätigkeit in Deutschland einen Monat lang halbiert, kostet das aufs Jahr gesehen vier Prozent Wirtschaftswachstum. Bei zwei Monaten wären es schon acht Prozent“, sagt der einleitend schon erwähnte Gabriel Felbermayr. „Das haben wir in Friedenszeiten noch nie erlebt“ Wir können ruhig zugeben, dass wir zu solchen überschlägigen Berechnungen bereits während der Wuhan-Krise selbst in der Lage waren. Mehr kann man als Außenstehender ja auch kaum machen. Und wir sehen jetzt von Ifo-Chef Clemens Fuest im Handelsblatt vom 18. März eine ähnliche Berechnung. Dabei geht er von der Regierungsprognose vom Jahresanfang aus, nach der die Wirtschaft 2020 um 1,1 Prozent wachsen sollte. „Wenn die Wirtschaftsaktivität nur für zwei Monate auf 65 Prozent des Normalniveaus zurückgeht und danach wieder wächst wie erwartet, würde die Wirtschaftsleistung für das Gesamtjahr um fünf Prozent schrumpfen“, so Fuest. Das wäre ein Einbruch wie im Finanzkrisenjahr 2009. „Es kann aber auch deutlich schlimmer kommen“, warnte er.

Und danach sieht es wohl aus. In der oben angeführten Stellungsnahme der Epidemiologen heißt es: „ist eine konsequente Umsetzung für einen längeren Zeitraum notwendig.“ Wir können deshalb getrost davon ausgehen, dass wir Mitte April noch nicht über den Berg sind. Wir reden also mit Sicherheit von Monaten, die wir Eindämmungsmaßnahmen brauchen werden. Und die politische Führung hat sich nun weltweit wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert in Sachen Krisenmanagement, Entschlossenheit und Voraussicht, und schaut man nach Großbritannien und in die USA liegt es nahe sogar von fahrlässiger Tötung von Seiten der Politik sprechen. Taiwan, Vietnam, Hongkong und Singapur haben es demgegenüber mit konsequenten Maßnahmen gleich zu Beginn der Epidemie geschafft, die Infektionszahlen gering zu halten.

Auf dem anderen Blatt stehen denn auch die Auswirkung auf die Wirtschaft, die schnellstmöglich wieder angeworfen werden muss. Wir können aus unserer Sicht schon heute mit einem Wirtschaftseinbruch gemessen am Bruttoinlandsprodukt von mindestens 5% rechnen, was mit der Finanzkrise gleichziehen würde. Katastrophal. Wie bereits beschrieben: alles was der Staat tut und tun muss, um den Virus zu bekämpfen, schadet der Wirtschaft. Am Hilfreichsten wäre natürlich eine globale gleichzeitige 30-tägige strikte Ausgangssperre. Diese ist nur schon deshalb nicht umzusetzen, da das Zeitalter der Multilateralität mit dem Auftauchen intellektueller Amöben als Staatsführer vielerorts bekanntlich vorüber ist und wir in Europa unsere eigenen Probleme schon nicht europäisch lösen können. Bill Ackman, Gründer, Leiter und Hedgefonds-Manager von Pershing Square Capital hat formuliert:

Capitalism does not work in an 18-month shutdown, capitalism can work in a 30-day shutdown.
‘Hell is coming’

Das ist das Dilemma. Wir bräuchten eine kurze Zeit lang eine radikale Maßnahme, um im Gegenzug ein monate- bis jahrelanges Siechtum zu vermeiden. Allein, es fehlt an der politischen Umsetzungskraft, selbst in der größten Katastrophe der Menschheit seit dem zweiten Weltkrieg.

Im Jahr 2008 in der Finanzkrise war das Problem, dass das Vertrauen in die Kreditwürdigkeit unter den Banken nicht mehr vorhanden war und die Interbankenmärkte austrockneten. Damals haben die Notenbanken die Liquiditätsnotversorgung übernommen, bis das Vertrauen in die Interbankenmarktteilnehmer wieder hergestellt war. Was wir nun sehen, ist das Austrocknen sämtlicher Kapitalflüsse in der Wirtschaft. Investitionen werden abrupt zurückgefahren. Projekte werden gestoppt. Die Lieferantenzahlungsziele werden gezogen bis zum Anschlag. Ausgerechnet jetzt werden alle verfügbaren Kreditlinien bei den Banken in Anspruch genommen, bevor die Linien bankseitig gestrichen werden. Mietzahlungen sollen gestundet werden. Arbeitnehmer gehen in Kurzarbeit oder in die Arbeitslosigkeit und halten ihr Geld beisammen. Jeder Liquiditätsfluss kommt zum Erliegen, trocknet aus. Cash is king. Aber die gesparte Investition des einen ist der wegbrechende Umsatz des anderen. Je langsamer die Geldumlaufgeschwindigkeit, desto schneller dreht sich die Spirale der Flucht in Liquidität und desto langsamer wiederum der Geldumlauf, bis letztlich der komplette Wirtschaftskreislauf zum Erliegen kommt. Nicht jeder Sektor ist dabei gleich betroffen: die Industrieproduktion steht immer öfter still, der Dienstleistungssektor muss für den Publikumsverkehr schließen, ein Teil von ihm kann aber dezentral von zuhause aus arbeiten. Aber wenn die Wirtschaft im Allgemeinen stillsteht, bleibt irgendwann auch im Dienstleistungssektor nichts mehr zu tun. Und die Schocks kommen von allen Seiten. Die Nachfrage bricht weg. Der Angebotsschock aus China ist noch nicht verdaut und auch in der westlichen Welt werden immer mehr Produktionen eingestellt. Dazu fallen die eigenen Mitarbeiter aus, wegen Home-Office oder Quarantäne oder sogar Krankenhausaufenthalten.

Was können wir also Stand heute wissen? Zumindest dies: diese Krise wird existenziell. Sie ist weltweit und sie ist eine Menschheitaufgabe. Es kommt auf alle Beteiligten, national, international und global an, wie schnell wir wieder in geordnete Bahnen kommen. Die zeitliche Obergrenze sollte der Zeitraum bis zur Marktreife entsprechender Medikamente und Impfstoffe bilden. Hierfür gibt es aber noch keinerlei Termine.

Wenn aber irgendwann ein Impfstoff oder ein mortalitätsreduzierendes Medikament verfügbar ist, ist davon auszugehen, dass zuerst die Börse und mit ihr folgend die Wirtschaft aufblühen, wie eine Wüste nach dem Regenschauer.

Ob aber die „Dinge an sich“ in Wirklichkeit so sind, wie wir sie wahrnehmen, können wir niemals wissen.

Teil II unserer Artikelserie erscheint in Kürze.

 

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2 Gedanken zu „Der Worst Case (Teil I)“

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