Nach dem gestern veröffentlichten ersten Teil unserer Corona-Artikelserie kommt nun unser zweiter Artikel zur aktuellen Krise, der sich der zweiten Kernfrage der Kantschen Philosophie widmet: Was soll ich tun?
Zweite Frage: Was soll ich tun?
Sieben Jahre nach der „Kritik der reinen Vernunft“ (was übrigens keineswegs eine „Kritisierung der reinen Vernunft“ ist, sondern eher übersetzt werden sollte mit „Überprüfung der Möglichkeiten der Erkenntnisfindung ohne Verwendung der Erfahrung und Beschränkung der Erkenntnis auf das ihr Zugängliche“) schrieb Kant die „Kritik der praktischen Vernunft“, in welcher er den berühmten kategorischen Imperativ abhandelte. Unzulässig verkürzt dargestellt beinhaltet dieser die Anweisung, so zu handeln, wie es gleichzeitig für die Allgemeinheit wünschenswert wäre.
Es wird dem Kantschen Anspruch natürlich in keinster Weise gerecht, wenn wir diese Frage in der aktuellen Situation im Allgemeinen rein wirtschaftlich und aufgrund unseres Blog-Themas im Besonderen rein finanziell angehen. Unsere höchstphilosophische Antwort auf dieses Problem: das soll uns an dieser Stelle nicht weiter kümmern. Man darf in Krisenzeiten seinen humorvollen Umgang mit den Dingen nicht verlieren.
Aber schauen wir uns das doch einmal an: wie „soll“ man denn handeln? Im Unterschied zu den allgemeinen Sitten und der Frage nach einem moralischen Handeln, auf die sich Kant jeweils bezieht, gibt es im Investmentbereich keine allgemeingültig „richtige“ Vorgehensweise. So ist der eine Investor mit guten Gründen extremer Buy-&-Hold’ler und sammelt seine 7 Prozent pro Jahr ein, während der andere möglicherweise dauerhaften Erfolg aus Kauf und Verkauf erzielt. Der eine setzt dabei auf Direktbeteiligungen an Einzelwerten, während der andere ein Marktprodukt kauft und systematisch die systemische Rendite mitnimmt. Der eine investiert Einmalbeträge, der andere betreibt einen Sparplan.
Im Ergebnis tut deshalb in der „technischen Umsetzung“ des Renditestrebens zunächst mal jeder das, was seinen Neigungen am nächsten kommt und was für seine persönlichen Verhältnisse das richtige ist. Die Frage, ob ein solches Streben oder eine Investitionsentscheidung eine Auswirkung an anderer Stelle hat, beispielsweise bei einer Investition in Streubombenproduzenten, ist dagegen schon eher eine allgemeine und eine, die man durchaus unter moralischen und unter Allgemeingültigkeitsgesichtspunkten diskutieren kann. Unterstellt man aber, dass man bei jeder Investition sicher auch irgendetwas Moralisches zu bemäkeln hätte, helfen einem dieser Erwägungen mangels spezifischer Krisenrelevanz bei der konkreten Frage, „wie“ man sich jetzt in der Krise verhalten „soll“, nicht weiter.
Man kann unseres Erachtens in concreto zunächst mal in aktives und passives Investieren unterscheiden. Bei einem passiven Investmentstil in der klassischen Form des monatlichen ETF-Sparplans sollte einem das aktuelle Marktgeschehen egal sein. Für so einen Investmentstil ist es nicht erforderlich, regelmäßig Nachrichten zu konsumieren und man kann seine Zeit und seine Energie dann an anderer Stelle nutzenstiftend einsetzen. Dieser Anlegertyp sollte sich in der Theorie jetzt aber auch nicht auf unseren Blog verirren 🙂 Aber auch der passive Anleger sollte es in irgendeiner Weise mitbekommen haben, dass es derzeit massiven Rabatt an den Märkten gibt. Das „richtige“ wäre dann im Grundsatz, alles wie bisher weiterzuführen. Wenn daneben überschüssiges Geld vorhanden ist, ist es zumindest nicht falsch, jetzt kontinuierlich zusätzlich Marktprodukte zu kaufen. So gibt es den DAX derzeit ungefähr zum Preis seines Buchwerts und zu einer Durchschnittsdividende von 5 %, wie wir kürzlich gelesen haben. (Wir suchen übrigens noch nach einer Infoquelle, die einem die Dividendenrendite von Indizes tagesaktuell anzeigt. Wenn hierzu jemand Infos hat, gerne in den Kommentarbereich)
Beim aktiven Anleger hingegen ist es schon diffiziler, da er ja nicht nur entscheiden muss, wann er einsteigt, sondern auch, was er kaufen soll. Und jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Eine grundsätzliche Empfehlung dahingehend, jetzt noch zu warten oder bereits einzukaufen, können wir nicht geben. Weil das notwendig eine Aussage über künftige Kursverläufe implizieren würde, die wir nicht seriös abgeben können. Wir können aber sagen, was wir machen würden, da wir uns zu den aktiven Einzelwertanlegern zählen würden, wobei aktiv nicht mit Hin-und-Her-Handeln zu verwechseln ist. Wir verstehen Aktivität so, dass wir tagesaktuell sowohl über das Depot mit seinen Unternehmen als auch über das allgemeine Investmentumfeld informiert sind – ohne hierdurch emotional zum Handeln verleitet zu sein – und deshalb gegebenenfalls auch tagesaktuell Entscheidungen zu treffen in der Lage sind.
Wir haben in unserem vorletzten Artikel ja bereits dargestellt, wie wir in den Anfangstagen der Krise konkret vorgegangen sind. Trotz teilweise begründeter Kritik im Kommentarbereich, die zu erwarten war (und zu begrüßen ist), sind wir immer noch sehr froh darüber, die Reißleine für den fremdfinanzierten Teil des Depots gezogen zu haben. Das war übrigens seit der Finanzkrise unsere erste wesentliche „Entscheidung“, die außerhalb von Buy & Hold ablief und nicht Einzelwerte, sondern das ganze Depot betraf. Also im Sinne einer größeren Verkaufsentscheidung. Insofern ist unser „timing“ nicht so übel, wie wir finden. Wir sind unserem Artikel dazu weitere knapp 2.000 DAX-Punkte runter, sodass wir sämtliche verkauften Positionen jetzt billiger zurückkaufen könnten. Wichtiger aber ist, dass wir nachts ruhig schlafen können. Am Ende stellt sich aber jetzt natürlich trotzdem die große Frage, wenn man grundsätzlich ein Freund von time in the market, statt timing the market ist: wenn man raus ist, muss man irgendwann wieder rein. Sämtliches Einkommen der nächsten Monate ist deshalb prioritär für den Aktienmarkt vorgesehen.
Und mit der Frage, wann man wieder einstiegt, ist die Frage verbunden, wann wir den Wendepunkt sehen werden. Und das ist wahlweise Kaffeesatzleserei oder Glaskugelguckerei. Wenn aber die Zukunft unklar ist, kann der heute gewählte Weg prospektiv nicht richtig oder falsch sein. Retrospektiv ist dagegen immer alles vermeintlich eindeutig. Alle hätten heute gerne im März 2009 gekauft. An einem Tag, an dem nichts darauf hindeutete, dass die Kurse wieder anziehen würden und den Auftakt zu einer der längsten Börsenhaussen der Geschichte geben.
Es gibt aber einige Eckpfeiler, an denen man sich festhalten kann. Das Grundproblem ist ja offensichtlich das Virus. Die Wirtschaft an sich ist (noch) intakt. Sollte es schnelle Fortschritte in der pharmakologischen Forschung zum Coronavirus geben, werden Nachrichten hierzu vermutlich kursbewegend sein. Dagegen nimmt mit jedem weiteren Monat, der in Quasi-Quarantäne verstreicht, die Schädigung aller Wirtschaftsteilnehmer zu. Das sind aus unserer Sicht die Aussagen, die man noch unstreitig treffen kann.
Daran entscheidet sich auch, ob die Lösung der Virusfrage zu einem nachhaltigen Anstieg der Aktienkurse führen wird oder ob sich zunächst als Zweitrundeneffekt eine Wirtschafts- und Finanzkrise an die Viruskrise anschließen wird. Deshalb ist es auch per heute nicht möglich, eine Aussage darüber zu treffen, wann und auf welchem Niveau ein möglicher Tiefpunkt an der Börse erreicht sein könnte. Eine tendenzielle Aussage könnte man wie folgt formulieren: solange keine positiven Nachrichten kommen, bliebe die Nachrichtenlage schlecht und sollte die Börse eigentlich nur den Weg nach unten kennen. In einem ersten Schritt müsste mal der Höhepunkt der Neuinfektionen erreicht werden, um zu einer besseren Nachrichtenlage zu kommen. Das könnten wir uns in Deutschland aufgrund der nun ergriffenen Maßnahmen z.B. grundsätzlich in den nächsten drei Wochen vorstellen. Global vielleicht etwas später. Hätte, wäre, wenn.
Der Zwischenanstieg von gestern auf teilweise fast 9.200 DAX-Punkte dürfte den wenigsten entgangen sein. Sehr wahrscheinlich rennen uns hier gerade nicht die Kurse davon, vielmehr dürfte es sich um markttechnische Zwänge gehandelt haben, die sich aus dem dreifachen Terminmarktverfall und deren Rückwirkung auf den Kassamarkt ergeben. Wir haben zu dem Thema schon einige sehr gute Artikel gelesen, können diese allerdings auf die Schnelle nicht mehr auffinden, um sie hier zu verlinken. Deshalb nur ersatzweise hier ein Artikel, der in Ansätzen die Bedeutung des Terminmarkts (bspw. DAX-Future) für die Preise am Kassamarkt (DAX-Index) aufzeigt. Wir gehen letztendlich davon aus, dass der DAX nächste Woche wieder in Trendrichtung einschwenkt. Bereits zum gestrigen Börsenschluss standen nur mehr noch 8.575 Punkte auf der Uhr. Im – nichtrepräsentativen – Wochenendhandel bei Lang & Schwarz wird der DAX auf 8.400 Punkte taxiert.
Würde man beispielsweise davon ausgehen, dass die Viruskrise schnell gelöst wird, könnte man auf die Börse eine Art Ertragswertverfahren anwenden. Dabei ergibt sich der heutige Preis aus den abdiskontierten zukünftigen Zahlungsströmen, also den zukünftigen Gewinnen. Wenn aber nur der Gewinn 2020 und wahrscheinlich noch 2021 schlecht ausfiele, ändert sich an den Folgeperioden und am Endwert annahmegemäß wenig. In diesem Fall könnte man zum Ergebnis kommen, dass ein DAX-Abschlag von 40 % vom bisherigen „Normalfall“ weit übertrieben wäre.
Je länger die Krise aber dauert, desto weniger Annahmen können getroffen werden, weil schlicht schon gar nicht mehr klar ist, wie viele Unternehmen diese Krise überhaupt überleben werden. Dass wir eine Ausradierungswelle bei Klein- und Kleinstunternehmen sehen werden, wenn der Staat nicht unverzüglich auskömmliche und vor allem zugängliche Hilfen zur Verfügung stellt, steht für uns außer Frage.
Und so unbefriedigend wie Kants Antwort zur Frage, was wir wissen können, ist deshalb auch die Antwort auf die Frage, was nun zu tun ist. Nämlich auf Sicht fliegen. Ruhig bleiben. Sich informieren. Nachrichten verfolgen. Eine Nachrichtendiät ist aus unserer Sicht nichts Zielführendes, da durch Nichtinformation keine besseren Entscheidungen getroffen werden können, als durch Information. Obwohl wir also gelegentlich von einer solchen auch von ernstzunehmenderen Zeitgenossen wie Rolf Dobelli lesen, sind wir davon nicht überzeugt.
Werfen wir noch einen Blick auf ein Randthema in diesen Tagen. Wir haben vor fast zwei Jahren einen Artikel über mögliche Gefahren der Allgegenwärtigkeit von ETFs – sogar in Kleinanlegerdepots 😉 – geschrieben. Wir wollen darauf noch einen Blick werfen. Es gibt hierzu eine sehr frühe Auswertung von Blackrock für den Monat Februar. Darin wird konstatiert, dass in der letzten Februar-Woche (also die erste richtige Crash-Woche) die höchsten jemals gemessenen Aktien-ETP-Abflüsse zu verzeichnen waren. Investoren zogen 31,5 Milliarden Dollar in einer einzigen Woche ab. Und – das steht so nicht in dem Bericht, aber wir erlauben uns diesen Schluss – zogen damit anteilig alle enthaltenen Basiswerte mit in den Keller. Nicht allein, zugegeben, aber zusammen mit dem Gesamtmarkt. Wenn also beispielsweise Klopapierhersteller Sonderkonjunktur haben und einen höheren Aktienpreis verdient hätten, würden sie durch pauschale, unreflektierte ETF-Verkäufe trotzdem in den Abgrund gezogen werden. Da in der Hochphase des Absturzes wohl selbst professionelle institutionelle Investoren in Erwartung noch viel tieferer Kurse nicht in das fallende Messer greifen, kann auch nicht argumentiert werden, dass jedem Verkäufer ja ein Käufer gegenübersteht. Offenbar überwog der Verkaufsdruck derartig, dass denjenigen, die überhaupt noch als Gegenpartei zur Verfügung standen, dramatisch niedrigere Preise geboten werden mussten. Was dann zum schnellsten Absturz der Börse aller Zeiten führte.
Kurzer Exkurs zum Thema Klopapier:
Die Frage, ob man Toilettenpapier hamstern soll oder nicht, ist letztlich ein spieltheoretisches Problem, auch wenn das während der Prügelei an der Supermarktkasse nicht auf den ersten Blick als ein solches erscheinen mag. Wählte jeder Teilnehmer die Strategie, nur so viel zu kaufen, wie er braucht, wäre genug für alle da. Niemand hätte einen Anreiz, von seiner Strategie abzuweichen und es läge ein Nash-Gleichgewicht vor, da eine unverhältnismäßige Vorratshaltung üblicherweise keinen Vorteil mit sich bringt. Sobald aber der erste mit dem Hamsterkauf anfängt, ist es die beste Strategie für alle anderen Teilnehmer, ebenfalls zu hamstern. Da in einer Gesellschaft gerade wie der deutschen aber Neid, Missgunst und Misstrauen weitverbreitet sind, kann die Wahrscheinlichkeit, dass ein Teilnehmer zulasten aller anderer abweicht, a priori auf 100 % taxiert werden. Die Lösung des Problems kann daher nur in Mengenabgabebeschränkungen der Verkaufsstelle gesehen werden, wie sie mittlerweile auch flächendeckend praktiziert wird.
Wir sind jedenfalls sehr gespannt auf den ETF-Mittelbewegungs-Report für März, der die volle Wucht der Abwärtsbewegung zeigen wird. Wir werden sehen, ob erneut Dutzende Milliarden aus Pauschalprodukten zulasten der Direktaktionäre auf den Markt geworfen wurden, weil deren Anleger kalte Füße bekommen haben. Und auch sonst tauchen ETFs in dieser Krise wieder mit Nachrichten auf. So führt die erhöhte Volatilität zu einer mehr als 6%igen Preisverzerrung zum Nettoinventarwert beim größten Anleihen-ETF von Vanguard, dem Total Bond Market ETF mit seinen 50 Milliarden Dollar Fondsvolumen. Eine 6%ige Falschbepreisung des ETF-Werts entspricht bei einem 50-Milliarden-Produkt immerhin einem Abschlag von 3 Milliarden Dollar. Eine Reuters-Analyse kam kürzlich zum Ergebnis, dass ETFs auf europäische Staatsanleihen Preisverzerrungen von bis zu 11 % aufwiesen.
Den Vogel abgeschossen hat der VanEck Vectors High-Yield Municipal Index ETF, der den Handel am 12. März mit einem Preisabschlag von fast 20 % zu seinem NAV beendete. Diese Verzerrungen sind nur temporär (jedenfalls bei Aktien-ETFs, aufgrund der Basiswertliquidität), zeigen aber erneut auf, dass ETFs keine Produkte ohne idiosynkratische Risiken sind. Sie tauchen mittlerweile bei jeder Krise mit immer neuen und immer größeren Anomalien in den Nachrichten auf. Vor allem sind sie eben „Produkte“ und gerade nicht Aktienanteile, bei denen einem kein Dritter reinfummelt. Laut Financial Times machen ETFs üblicherweise bereits 25 % des täglichen Handelsvolumens aus. Nun in diesen volatilen Tagen aber sogar 40 % des gesamten Handelsvolumens. Das spricht dafür – da die Kurse ja einbrachen -, dass ETFs die Marktvolatilität erhöhen und den Abwärtsdruck in der ganzen Breite der enthaltenen Basiswerte verstärken. Zumal aus unseres Erachtens falsch verstandenem Risikobewusstsein vor Jahren eine Trendwende vom synthetisch replizierenden ETF hin zum physisch replizierenden einsetzte. Nicht falsch verstehen: wir finden die Idee von ETFs ja großartig und es soll sich jeder kaufen, was er für richtig hält. Wir denken nur, dass sich ihre Vorteile ab einer gewissen Größenordnung in das Gegenteil einer Gefahr für alle anderen Marktteilnehmer wenden. Wie immer: wir können auch falsch liegen.
Kommen wir noch einmal zu unserem eigenen Handeln zurück. Wir stellen zunächst einmal fest, dass es den breiten Markt nun 40 % unter dem Preis des Vorkrisenniveaus gibt. Wir wissen selbst noch nicht konkret, wie wir wieder einsteigen können. Wir denken darüber nach, auch mit Blick auf die Marginanforderungen bei Degiro z.B. täglich nur 100 oder 200 Euro wieder zu investieren und zwar so lange, bis sich eine höhere Visibilität für die weitere Entwicklung ergibt (z.B. durch einen Rückgang der Neuinfektionen). 100 Euro sind nach 10 Tagen eben auch schon wieder 1.000 Euro, im Monat 3.000 Euro. Damit würden wir zumindest vermeiden, zu schnell zu viel in den Markt zu geben und dann kalt von einem weiteren Kurssturz erwischt zu werden. Das ist noch nicht entschieden. Allerdings haben wir nun eine weitgehende Bewegungseinschränkung in Deutschland, sodass zu erwarten steht, dass wir in der nächsten oder übernächsten Woche eine Auswirkung in den Neuinfektionszahlen sehen werden. Sobald die Exponentialität im Griff ist, sollte die Börse schon wieder anfangen sich zu erholen. Wir werden das eng beobachten.
Und Margin-Anforderungen bei Degiro ist vielleicht nochmal ein gutes Stichwort. Die gute Nachricht vorweg: wir sind der Ansicht, dass das Degiro-Risikomanagement funktioniert, weil die Margin-Anforderungen nun schon drei Mal angehoben wurden (das dritte Mal mit Wirkung ab Dienstag nächster Woche). Aus Degiro-Sicht ist das zum einen gut, um sich vor den Einflüssen extremer Volatilität zu schützen. Andererseits wird durch höhere Margin-Anforderungen auf niedrigerem Kursniveau effektiv verhindert, dass sich die Anleger nun zu früh mit billigen Aktien auf Wertpapierkredit „vollsaugen“ und dann von einem potentiellen weiteren Absturz umso heftiger getroffen werden. Mit möglicher Rückwirkung auf die Stabilität des Brokers. Die schlechte Nachricht: für den Anleger gibt es signifikant weniger Finanzrahmen. Im Extremfall kann das dazu führen, dass man inmitten der Krise Geld nachschießen muss, um zu verhindern, dass Degiro eigenständig Risiken reduziert und dafür Depotwerte verkauft. Das spricht erneut dafür, dass ein ganz substantieller Teil des Wertpapierkredits in jedem Fall extern durch Rahmenkredite oder andere Kreditlinien abgesichert werden sollte.
Aber das Thema ist auch für uns nochmal ganz wichtig für eine etwaige spätere Ausstiegsperspektive aus dem aktiven Erwerbsleben. Allerdings sollte bis dahin ohnehin nur noch ein homöopathischer Wertpapierkredit bestehen. Aber jedenfalls kann man nicht aussteigen und sich auf den Wertpapierkredit und konstante Margin-Anforderungen für alle Zeiten verlassen. Das gilt es in seine Planungen zu integrieren. Wir hatten in einem früheren Artikel einmal dargestellt, dass es grundsätzlich – in normalen Zeiten – möglich wäre, das 2,33-fache des Eigenkapitals als Fremdkapital aufzunehmen. Das ist der Grenzfall. Mittlerweile wurde das rechnerische Portfoliorisiko von Degiro um ca. 47 % angehoben, korrespondierend ging damit der verfügbare Finanzrahmen um ca. 15 % zurück (Musterbeispiel Degiro). Wir würden deshalb auch insoweit erneut zum Schluss kommen, dass im Degiro-Margin-System als Daumenregel als Obergrenze ein Kredit in Höhe des Eigenkapitals aufgenommen werden sollte (also freiwillig Hebel 2 statt 3,33). Dies ist das Beispiel für geringe Eigenkapitalbeträge, die in der Regel noch gut mit Kreditlinien absicherbar sind. Bei höherem Eigenkapital sollte man der Versuchung, größere Fremdkapitalsummen aufzunehmen, dringend widerstehen. Eher sollte man sich aus Sicherheitsgründen auf einen maximalen Absolutbetrag an Wertpapierkredit festlegen, z.B. 50.000 Euro, sobald man ein darüber hinaus gehendes Eigenkapital hat. Selbstverständlich gelten alle Ausführungen nur für ein reines Aktiendepot, da wir in anderen Anlageklassen keinerlei Erfahrungswerte zur Behandlung im Margin-System haben.
Ein anderes Thema sind die nun reihenweise verschobenen Hauptversammlungen deutscher Aktiengesellschaften. Das heißt für eine eventuelle Ausstiegsperspektive: auf den HV-Termin muss nicht zwingend Verlass sein. Man sollte sein Ausstiegsbudget also nicht auf Kante genäht haben, oder zumindest keine festen finanziellen Verpflichtungen mehr haben. Die Corona-Krise führt vor Augen, dass es unabdingbar scheint, neben dem erträgegenerierenden Depot eine Liquiditätsreserve in Höhe von mindestens einer Jahresausgabensumme vorzuhalten. Da die meisten von uns noch nicht in Dividendenrente sind, ist es gut, dass die (Jahrhundert?-)Krise jetzt schon eintritt und man die Dramatik der möglichen Auswirkungen einmal gesehen hat. Auf der anderen Seite werden Hauptversammlungen in Zukunft auch im konservativen (andere würden sagen: hinsichtlich der technischen Möglichkeiten zurückgebliebenen) Deutschland digital ohne Präsenzpflicht ablaufen. Zumindest für 2020 gibt es dem Vernehmen nach gesetzgeberisch möglicherweise schon zeitnah den Testballon einer komplett digitalen Hauptversammlung. Ab da ist der Stein einmal ins Rollen gebracht und hoffentlich nicht mehr aufzuhalten.
Insofern steht zu hoffen, dass 2020 das letzte Jahr sein wird, in denen die Firmen die Dividendenliquidität monatelang länger in der Kasse behalten können, nur weil die Hauptversammlung verpflichtend als Präsenzveranstaltung abgehalten werden muss. Wir sehen das tatsächlich als bloßen Vorwand zur Schonung der Liquiditätslage an. Denn wenn 90 % der Besucher einer Hauptversammlung zur Corona-Risikogruppe zählen, ist davon auszugehen, dass in diesen Zeiten nur die Hartgesottenen und bereits wortwörtlich Lebensmüden tatsächlich noch zu einer Präsenzveranstaltung anreisen würden. Eine solche würde also tatsächlich wahrscheinlich so gering besucht werden, dass eine Ansteckung wieder unwahrscheinlich wäre. Die meisten sind eh nur wegen der Bockwürste dort und nicht, um die Verantwortung über ihr Stimmrecht wahrzunehmen.
Als letzten Punkt auf der Agenda zur Frage, was nun getan werden soll, haben wir das Thema Medizin- und Impfstoffaktien. Die Versuchung ist nun, da sämtliche Pharmafirmen des Erdballs Corona-Forschung angekündigt haben, groß, auch die Aktien zu kaufen. Das dürfte zum heutigen Zeitpunkt zum großen Teil reine Spekulation sein. Jeder kann tun, was er möchte. Wir erinnern nur daran: Spekulation ist nicht Investition. Während eine Investition das Geld mehrt, kann eine Spekulation das Geld gefährden. Das gilt umso mehr für Wertpapierkreditnutzer und daneben auch für haftende Geschäftsführer einer Sparschwein-UG. Medikamenten- und Impfstoffentwicklungen bergen immer ein gewisses Rückschlags- und Misserfolgspotential. Der Weg bis zum fertigen Produkt ist lang und teuer und die Behörden müssen ihren Stempel geben. Insoweit kann möglicherweise die Analogie zum Bitcoin und der Greater-Fool-Theory gezogen werden, wo sich der Preis nicht an einem inneren Wert orientiert, sondern nur daran, dass es einen Dümmeren gibt, der einen noch höheren Preis bezahlt.
Was ist also zu tun? Vor allem Ruhe bewahren. Mit Besonnenheit und dem Versuch größtmöglicher Rationalität in den Markt einsteigen. Bitte kaufe Shell nicht nur deshalb, weil die Dividendenrendite gerade optisch hoch ist. Noch einmal: denke nach und werde reich. Aber das zweite setzt das erste voraus.
Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.
Teil I unserer Serie findest du unter diesem Link. Teil III unserer Artikelserie erscheint in Kürze.
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